PaarproblemeDie Liebe lebendig halten

kizz sprach mit dem Paartherapeuten Michael Cöllen über Herausforderungen, Warnzeichen und Chancen.

Paarprobleme: Die Liebe lebendig halten
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Herr Cöllen, Sie begleiten seit vielen Jahren Paare mit und ohne Kinder. Was ist die große Herausforderung, wenn aus einem Liebespaar ein Elternpaar wird?
Es geht tatsächlich um einen ganz neuen Lebensabschnitt, wenn aus einer jungen Liebe starke Eltern werden sollen. Das ist ein natürlicher Prozess, der aber viel innere Arbeit braucht. Denn die junge Liebe, die bisher ungeteilt war, muss sich nun plötzlich aufteilen muss. Das Geben und Nehmen ist nicht mehr ausgeglichen, die Energie, die Kreativität, die Sinnlichkeit und Aufmerksamkeit – all das muss jetzt geteilt werden. Das Paar muss erwachsen werden und lernen, Verantwortung zu übernehmen, aber auch zu verzichten. Nach der Hingabephase tritt das Paar in die Aufbauphase, das heißt, es muss ein Nest bereiten und parallel dazu oft den beruflichen Aufbau leisten. Das überfordert oft die Kräfte des Paares und es braucht die ständige Bereitschaft und Fähigkeit zur friedlichen Auseinandersetzung. Die Aufgaben müssen verteilt werden, die Bedürfnisse geklärt werden – das alles im Dialog zu leisten, ist die Kunst dieser Aufbauphase.

Viele junge Eltern trennen sich bereits im ersten Lebensjahr des Kindes. Was läuft da schief?
Die Gynäkologen stellen tatsächlich fest, dass 30 bis 40 Prozent der Ehekrisen durch die Schwangerschaft und die Geburt entstehen, besonders beim zweiten Kind. Rein statistisch gesehen ist das Kinderkriegen also eine häufige Ursache für große Partnerkrisen. Den Paaren, die sich im ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes trennen, fehlt die innere Vorbereitung, also die Einstellung auf einen neuen Lebensplan. Die werden von der Geburt des Kindes überrumpelt. Viele trennen sich aber erst einige Jahre später, wenn Erziehungsprobleme dazukommen, alltägliche Auseinandersetzungen, Belastungen.

Spielen auch zu hohe Erwartungen eine Rolle?
Dieser These möchte ich entgegentreten. Es gibt viele Wissenschaftler, selbst Philosophen, die sagen, dass die Liebesbeziehungen heute mit Romantik überfrachtet sind, dass zu viel von dem Liebespartner erwartet wird. Das halte ich schlicht für falsch. Denn die Romantik gehört zur Liebe dazu und wir müssen sie uns erhalten. Das ist allerdings schwer, weil unsere Gesellschaft keine Romantik mehr zulässt, sie kommt selbst im Sprachgebrauch kaum noch vor. Leidenschaft und Ekstase werden nicht gepflegt. Dabei braucht die Liebe beides. Die Romantik zu pflegen, haben allerdings viele nicht gelernt. Stattdessen erwarten wir, dass die Schmetterlingsgefühle immer erhalten bleiben. Natürlich ist es angesichts von Schlafmangel und Überforderung schwierig, aber das ist kein Grund, die Romantik zu vergessen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schwer Paare sich im Liebesdialog tun, weil sie kaum eine zärtliche, eine intime Sprache haben. Dieses Dialogdefizit macht sich dann unter der Last der täglichen Anforderungen doppelt und dreifach bemerkbar.

Junge Eltern müssen Erwerbsarbeit und Familienarbeit aufteilen und ihre Mutter- und Vaterrolle finden. Was bedeutet das für die Paarbeziehung?
Die Bedingungen fürs Kinderkriegen sind nicht günstig. Obwohl die Politik ständig anderes verkündet, beutet unsere Gesellschaft junge Mütter und Väter aus. Sie überantwortet ihnen eine Aufgabe, die sie alleine nicht bewältigen können, weil der Zeitdruck, der Arbeits- und Karrieredruck zu groß sind. Die jungen Paare sind heute mehr als früher in Sorge um ihre Sicherheit und die Politik schützt sie nicht. Das wird zum Beispiel sichtbar, wenn Eltern aus der Teilzeit in die Vollzeit zurückgehen möchten. Das Recht darauf ist gesetzlich nicht verankert und ein entsprechendes Gesetz ist von der Regierung gerade wieder abgelehnt worden.

Was sind die ersten Warnzeichen, dass man sich um die Beziehung kümmern muss?
Das ist ganz klar spürbar. Die Paare müssen nur lernen, auf die warnende Stimme zu achten. Alle Paare, auch die ohne Kinder, müssen erkennen, wann die junge Liebe in die beständige Liebe, die Alltagsliebe übergeht. Dann kommen Gefühle von Routine, von Müdigkeit und auch Langeweile auf. Das eigentlich kritische Kennzeichen ist jedoch, wenn der Dialog der Paare nicht mehr funktioniert. Die Liebe besteht im Austausch von Körper, Geist und Seele. Es gibt den Triebaustausch der Körper, der ist uns allen klar. Dann gibt es den geistigen Austausch, auch der ist uns einigermaßen klar. Mit dem Austausch der Seele ist gemeint, dass die Partner versuchen, sich in ihrem Wesen in die Beziehung einzubringen, dass sie sich gegenseitig erforschen: Was fühlst du in deinem Innersten? Was ist deine größte Sehnsucht? Solche Gespräche zu führen, fällt den Paaren schwer, vor allem wenn sie durch den Familienalltag stark gefordert sind. Und es gibt noch andere Kennzeichen: Es tritt eine gegenseitige Vernachlässigung ein und die Paare nörgeln aneinander herum. Und schließlich ist auch der Lustverlust ein wichtiges Warnzeichen. Wenn diese Symptome auftreten, sagen die Frauen häufig früher als die Männer „bei uns stimmt was nicht, lass uns in Therapie gehen“.

Und dann kommen die Paare zu Ihnen?
Ja, denn sie spüren, dass der Dialog blockiert ist. Die Liebe zeigt sich auf fünf Dialogsäulen: Das ist der Körperdialog, der Gefühlsdialog, der Sprachdialog, der Seelenaustausch und der Zeitdialog, also die aktive Paarzeit. Wenn eine von diesen Säulen umfällt, besteht die Gefahr, dass die anderen wie beim Domino mit umgestoßen werden. Häufig kommen die Paare zu spät zu uns. Die Hemmschwelle, eine Paartherapie aufzusuchen, ist zwar gesunken, aber immer noch relativ hoch. Es hat irgendwas Peinliches an sich, dieses intime Scheitern, dafür schämen sich viele. Manche haben auch Angst, was so eine Paartherapie mit sich bringt. Und diese Angst ist in gewisser Weise ja auch berechtigt, weil die Probleme, die in der Beziehung zur Krise geführt haben, oft lange unterdrückt worden sind. Wenn Paare eine bessere Streitkultur hätten, dann könnten sie viele Probleme alleine lösen. Stattdessen haben viele eine sehr geringe Konflikttoleranz und die nimmt unter Belastung noch mehr ab. Die Partner sind schnell gekränkt, ziehen sich zurück oder gehen in den Angriff. Und leider kommen sie erst dann, wenn es schon kracht, wenn die Situation festgefahren ist oder einer fremdgeht.  

Was erwartet Paare in einer Therapie? Wie arbeiten Sie mit den Paaren?
Das ergibt sich aus der Symptomatik. Oft bauen wir an den fünf Dialogsäulen und schauen, dass wir den Gefühlsaustausch des Paares wieder in Gang bringen. Wir arbeiten zum Beispiel an der Sprachsäule, dann geht es ganz konkret darum, eine Streitkultur zu entwickeln und auch zu lernen, um Verzeihung zu bitten. Außerdem lernen die Paare, sich ihre Liebe neu zu erklären, also zum Beispiel mal wieder einen Liebesbrief zu schreiben. Das ist erstaunlich, wie wenig das heute praktiziert wird, die Liebessprache verkümmert richtig. Wir versuchen, die Gefühle zu vertiefen und unterstützen beide auch bei der Sinnfindung. Das ist besonders für Paare in der Lebensmitte wichtig, wenn das Häuschen gebaut ist und die Paare beruflich angekommen sind. Dann stellen sich viele Fragen: Warum sind wir überhaupt zusammen? Wozu sind wir uns im Leben begegnet? Was kann ich durch dich lernen und du durch mich? Und wie können wir sinnvoll mit unseren Fehlern umgehen? Manche Paare schauen sich die Psychodramen im Fernsehen an und sprechen selbst nicht miteinander.
Außerdem arbeiten wir mit den Paaren an den Erfahrungen, die sie in die Beziehung mitgebracht haben, zum Beispiel aus ihrer Herkunftsfamilie oder aus früheren Beziehungen. Das ist ganz wichtig, dem Partner auch die eigene Verletzungsgeschichte zu erklären.

Welche Bereitschaft sollten die Paare mitbringen?
Die größte Schwelle ist die, sich selbst in Frage zu stellen und nicht den Partner. Wenn die Paare in die Therapie kommen, wollen sie im Grunde, dass der Therapeut ihnen Recht gibt. Er soll Partei ergreifen und Schiedsrichter sein. Die größte Chance haben die Paare, die sich selbst hinterfragen und kritikfähig sind in dem Sinne, dass sie eigene Schwächen eingestehen statt den Partner anzuklagen. Das kann sogar sehr befreiend sein und den Paaren richtig guttun. Wenn ein Partner nicht bereit ist, sich kritisch auseinanderzusetzen, den anderen wieder neu zu sehen, wird es natürlich schwierig. Aber ich erfahre gerade bei Männern immer wieder, dass sie verblüfft sind, wie wohltuend die Therapie ist. Die haben vielleicht am Anfang gedacht, dass sie eine Standpauke bekommen. Dann merken sie, dass es guttut, wenn Dinge zur Sprache kommen, die noch nie benannt worden sind, oder Aspekte durchleuchtet werden, die dann plötzlich einen tieferen Sinn ergeben. Die Veränderungsmöglichkeiten zu sehen – das macht vielen Hoffnung und beeinflusst den Erfolg der Therapie.

Wie geht es den Paaren nach der Therapie? Was hat sich verändert?
Man muss ehrlicherweise sagen: Ungefähr 30 Prozent der Paare trennen sich in der Paartherapie, 70 Prozent bleiben zusammen und gehen gestärkt aus der Therapie hervor. Diese Paare haben einen neuen, bewussten Umgang miteinander gelernt. Sie haben die Beziehung quasi umgebaut zu einer Erwachsenenliebe mit einer erhöhten Dialogfähigkeit. Das tut vielen gut. Dazu gehört auch die Fähigkeit, verzeihen zu können, ohne die es kein beständiges Liebesglück gibt. Viele erfahren durch die Paartherapie auch eine positive Veränderung in anderen Lebensbereichen, zum Beispiel in ihrem beruflichen Umfeld. In der Paartherapie wird ja eine Streitkultur eingeübt und das stärkt das Selbstbewusstsein und macht sicherer in der Auseinandersetzung mit anderen.

Ganz allgemein gefragt: Was ist das Geheimrezept der Paare, welche die Liebe über viele Jahre lebendig halten?
Zauberformeln gibt es nicht, sonst bräuchte es nicht die vielen Bücher und die Therapeuten schon gar nicht. Aber ich glaube doch, dass es eines gibt: Nämlich bewusst diesen Austausch von Körper, Geist und Seele zu pflegen. Das braucht nicht immer viel Zeit kosten, das kann auch nur eine Geste sein. Sich gegenseitig wertschätzen, den anderen würdigen, dafür Worte finden. „Du bist in meinen Augen immer noch die schönste Frau der Welt“ – das auch mal aussprechen. Das ist auch mit 50, 60 oder 80 Jahren noch möglich. Und es ist auch möglich, wenn drei Kinder mit am Tisch sitzen. Kinder hören gern zu, wenn die Eltern sich liebende Dinge sagen. Wir werden ja auch nicht müde, den Kindern unsere Wertschätzung zu zeigen. Das ist ein großer Irrtum, dass wir das als Erwachsene lächerlich finden. Sich einander Bestätigung auszusprechen – das ist der Erhalt der Beziehung. Wenn das gelingt, dann läuft die Partnerschaft gut, dann läuft die Familie gut.

Haben Sie einen Rat, den Sie allen jungen Eltern mit auf den Weg geben möchten? 
Fangt rechtzeitig an, euch um das Glück zu kümmern, damit es nicht verkümmert. Die Liebe bleibt nicht von alleine erhalten, sondern man muss früh anfangen, Rituale zu entwickeln, zum Beispiel am Hochzeitstag. Achtet darauf, dass ihr eine Herzenssprache habt, dass ihr aufeinander neugierig bleibt und immer wieder fragt: Was ist gerade das Wichtigste in deinem Leben? Wonach sehnst du dich? Sich miteinander auszutauschen ist das Allerwichtigste. 

Michael Cöllen ist Dipl.-Psychologe und Psychotherapeut, insbesondere für Gestalt- und Paartherapie. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, unter anderem „Lieben & Verzeihen. Wie sich Paare wiederfinden“ (Verlag Herder), www.michaelcoellen.de

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