Wenn Eltern prahlen"Mein Kind kann das alles schon"

Stolze Eltern sind ganz normal. Aber manchmal schlagen sie über die Stränge und prahlen mit ihrem Nachwuchs. Das setzt aber nicht nur sie, sondern auch die Kinder enorm unter Druck. Wichtig ist auch hier das gesunde Maß.

Wenn Eltern prahlen:
© Kzenon – Fotolia

"Unser Kind schläft schon durch", "Mein Sohn hat schon seinen ersten Zahn", "Die Schule fällt meiner Tochter ganz leicht" - mit solchen und ähnlichen Sprüchen geben Eltern vor anderen Eltern mit ihrem Nachwuchs an. "Ich habe gar keine Lust auf Krabbelgruppen, weil es dort vor allem darum geht, die Kinder miteinander zu vergleichen", sagt die Mutter eines Einjährigen. "Mütter geben mit ihren Kindern mehr an als Väter", erklärt Simone Kirchner, Psychologin des Berliner Familienplanungszentrums "Balance". "Denn Mütter verbringen mehr Zeit mit den Kindern als Väter", so ihre Begründung. "Außerdem ist bei Frauen die Aufmerksamkeit viel mehr auf ihre Mitmenschen, also auch auf ihre Kinder, gerichtet." Mütter haben in Stillgruppen, bei der Rückbildungsgymnastik, im Arztwartezimmer oder auf dem Spielplatz viel Gelegenheit zum Austausch - und auch zum Angeben.

Das Angeben setzt Kinder und Eltern unter Leistungsdruck

"Der Wettbewerb fängt früh an, direkt nach der Geburt", sagt Kirchner. "Das hohe Geburtsgewicht zum Beispiel war schon immer ein Punkt, der für Bestaunungen anregte." Weitere "Angeberpotenziale" liegen in den kindlichen Entwicklungsschritten: Krabbeln, Sitzen, Stehen, Laufen, Sprechen. Auch das Aussehen ist wichtig: "Die Hübschheit von Mädchen scheint ein Angeberfaktor zu sein, der noch aus der Zeit stammt, als die Schönheit und körperliche Attraktivität für die Karriere des Kindes garantierte", berichtet die Psychologin. Eine relativ neue Entwicklung der letzten 15 bis 20 Jahre: Eltern geben mit den intellektuellen Leistungen ihres Nachwuchses an. Hoch angesehen sind Kinder, die im Alter von drei Jahren zählen und rechnen oder mit fünf Jahren lesen und ihren Namen schreiben können. Auch Talente wie Musikalität oder Sportlichkeit geben Anlass zum Prahlen. Oft ist das Produziergehabe der Eltern mit Leistungsdruck gepaart. Denn wenn das Kind erfolgreich ist, hat man Grund, sich auf die eigene Schulter zu klopfen.

Mütter suchen über den Nachwuchs Anerkennung

Das Angeben mit dem Nachwuchs gibt es in vielen Kulturen und schon seit vielen Jahrhunderten. In der wilhelminischen Zeit putzte man die Kinder als Matrosen oder kleine Erwachsene heraus und führte sie sonntags in den Parks den anderen Erwachsenen vor. Dabei ist ein gewisser Stolz auf das eigene Kind ganz natürlich und sogar wichtig für die Entwicklung des kindlichen Selbstwertgefühls. "Diese Anerkennungsbezeugungen dürfen jedoch nicht ins Überhöhte umschlagen", gibt Kirchner zu bedenken. "Eltern müssen auch kritisch sein und das Kind begrenzen, damit es eine realistische Eigenwahrnehmung gewinnt."

Wenn Mütter in übersteigerter Form mit ihren Sprösslingen prahlen, werden gleichzeitig die anderen Kinder und Eltern abgewertet. "In diesem Wettkampf gibt es Überlegene und Unterlegene", so die Psychologin. Die Überlegenen fühlen sich bestätigt, bei den "Unterlegenen" bleibt oft ein ungutes Gefühl zurück. Wer neigt besonders zum Angeben? "Nach meinen Erfahrungen sind es primär die Frauen, die sich anders als durch das Kind nicht verwirklichen können, aber in sich einen starken Druck nach Anerkennung verspüren", sagt Kirchner. Wer also seine Lebenswelt auch für Berufstätigkeit, Hobbys, Kunst, oder Freunde öffnet, ist weniger anfällig fürs Angeben. Hinzu kommt in den Augen der Psychologin, dass Mütter in ihrem (unbezahlten) Job als Hausfrau und Mutter selbst zu wenig Lob, Anerkennung und Bestätigung bekommen und sich diese deshalb über ihre Kinder holen müssen.

Eltern sollten das eigene Kind vor Abwertung schützen

Was aber tun, wenn die Nachbarin wieder ihren Sprössling lobt und das eigene Kind danebensteht und sich klein fühlt? Eltern sollten in solchen Situationen gelassen aber bestimmt reagieren, rät die Psychologin. Man kann ruhig zugeben, dass das eigene Kind etwas noch nicht kann. Dabei ist es wichtig, ihm zu zeigen, dass das nicht schlimm ist und man es deshalb nicht weniger lieb hat. Möglich ist es auch, auf eine andere Fähigkeit oder ein Hobby des Kindes hinzuweisen: "Es stimmt, dass Leo noch nicht Fahrrad fahren kann, aber das macht gar nichts. Er wird das auch bald lernen. Dafür malt er sehr gern und macht ganz tolle Bilder."

In einigen Familien passiert es, dass Großeltern ihre Enkelkinder in deren Anwesenheit miteinander vergleichen und ein Kind sich abgewertet fühlt. In solchen Fällen rät Kirchner, mit den Großeltern das Gespräch zu suchen und deutlich zu machen, dass die Herabsetzung eines Kindes sich nicht wiederholen darf. Notfalls sollten sich Mutter und Vater in solchen Situationen schützend vor ihr Kind stellen, zum Beispiel mit Sätzen wie: "Mir sind alle Kinder gleich lieb. Der eine kann das ein bisschen besser, der andere jenes."

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