Erschöpfte MütterWenn der Akku leer ist

kizz sprach mit Friederike Otto, Expertin für Müttergesundheit, über Belastungen im Familienalltag.

Erschöpfte Mütter: Wenn der Akku leer ist
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Frau Otto, warum ist Mutterschaft so anstrengend?
Muttersein war sicher schon immer anstrengend, weil es vor allem in den ersten Jahren bedeutet, rund um die Uhr für ein Kind verantwortlich zu sein. Das fordert körperlich und mental heraus. Das Leben mit Kind ist beglückend, aber erst einmal auch sehr ungewohnt. Außerdem hat sich die Situation von Müttern in den vergangenen zehn Jahren deutlich verändert. Mit der Einführung der Elternzeit kehren Mütter heute bereits im zweiten Lebensjahr des Kindes in den Beruf zurück. Das ist einerseits positiv, weil die Frauen ihre berufliche Identität behalten, eigenes Geld verdienen und für die eigene Rente vorsorgen. Andererseits ist es für sie auch nicht einfach, Beruf und Familie zu vereinbaren, eine gute Versorgung des Kindes sicherzustellen, dessen Krankheitstage oder die Ferienzeiten der Kita zu managen und die Partnerschaft sowie den Freundeskreis zu pflegen – ohne dabei die eigene Gesundheit zu vernachlässigen. Insgesamt ist die psychische Belastung der Mütter und Väter gestiegen. Die Ursachen liegen in Zukunftsängsten, in der Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse und der Familienbeziehungen. Der Leistungs- und Erfolgsdruck, der auf den Eltern lastet, wird auch an die Kinder weitergegeben. Schulstress beginnt mit der Einschulung. Dabei können die Unbeschwertheit und Leichtigkeit verloren gehen, die in die Kindheit gehören und auch nötig sind, damit aus Kindern lebenstüchtige Menschen werden. Problematisch sind auch immer noch die Ausgestaltung der Mutterrolle und der eigene Anspruch. Die Frauen selbst, aber auch ihre Familien oder ihr näheres Umfeld, stellen bestimmte Forderungen, wie Mütter sein sollen, was sie alles schaffen müssen. Beim Rollenverständnis der Mütter gibt es beispielsweise immer noch einen Unterschied zwischen den alten und den neuen Bundesländern. In den neuen Bundesländern wird auch eine Vollzeiterwerbstätigkeit akzeptiert, die Mütter dort leiden weniger unter dem Rollenkonflikt und der Frage, ob es ihren Kindern schadet, wenn sie arbeiten. Die Männer sind heute überwiegend motiviert und engagiert in ihrer Vaterrolle, aber die berufliche Situation erlaubt meist keine gleiche Verteilung von Haushalt und Beruf. Der Arbeitsmarkt verlangt häufig Flexibilität, so kann es sein, dass eine Mutter zwar verheiratet, aber funktionell alleinerziehend ist.

Bei alleinerziehenden Müttern sind die Probleme verschärft. Wie erleben Sie deren Lage?
Wenn Elternpaare sich trennen, wird heute meist das gemeinsame Sorgerecht angestrebt.Im besten Fall schaffen es die Eltern, sich die Versorgung und Erziehung der Kinder zu teilen. Aber das gelingt nicht immer und dann stehen oft alleinerziehende Mütter den kleinen und großen Alltagsproblemen allein gegenüber. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist dann noch schwieriger. Das Alleinerziehen der Kinder ist aber häufig nicht das zentrale Problem, sondern die gesamten Lebensumstände: die prekäre wirtschaftliche Lage vieler Alleinerziehender, Armut trotz Erwerbsarbeit, die fehlende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Darunter leiden auch die Kinder.

Erschöpfung wird oft als persönliches Versagen wahrgenommen. Aber sind die hohen Belastungen nicht vor allem ein strukturelles Problem?
Ja, auch wenn sich vieles verbessert hat, bestehen die strukturellen Probleme nach wie vor. Die Betreuungsangebote sind erweitert worden, sie reichen aber noch nicht aus und es fehlt an Flexibilität in den Betreuungszeiten. Es braucht außerdem in den Betrieben noch mehr Akzeptanz dafür, dass Familie einen hohen Stellenwert für Mütter und Väter hat. Auch Männer wollen Zeit für ihre Kinder haben, das sollte gefördert werden. Und dies wiederum würde die Mütter entlasten. Frauen müssen aber auch loslassen und es aushalten, wenn die Väter es am Anfang nicht so perfekt hinbekommen oder anders machen als sie selbst.

Wie können Mütter besser entlastet werden?
Zum einen durch strukturelle Maßnahmen wie Kitas mit flexiblen Öffnungszeiten und durch finanzielle Entlastungen wie die kostenlose Kita. Davon würden auch die Familien in prekären Verhältnissen profitieren, die von einer Kindergelderhöhung ausgeschlossen sind, weil diese auf das Sozialgeld angerechnet wird. Dann ist es gut, wenn Mütter sich Auszeiten schaffen. Das kann ein Abend in der Woche sein, ein freier Samstag im Monat oder mal ein kinderfreies Wochenende. Hilfreich ist es immer, wenn jemand aus den Herkunftsfamilien unterstützen kann, also Omas und Opas der Kinder. Ist das nicht möglich, können Mütter in ähnlicher Situation aus der Nachbarschaft für gegenseitige Hilfe gewonnen werden. Jede Form von Netzwerk kann entlasten.

Wie äußern sich die Erschöpfungszustände? Was sind erste Warnzeichen?
Erschöpfung äußert sich durch Müdigkeit, Energielosigkeit und ständiges Schlafbedürfnis. Manchmal kommen Konzentrationsprobleme und Kopfschmerzen dazu, oder die Mütter haben keine Geduld mit ihren Kindern. Viele Frauen klagen über Schulter-, Nacken- und Rückenschmerzen. Andere bekommen Hautprobleme oder wiederholte Infekte der Atemwege. Manchmal zeigt sich Erschöpfung auch in Schlafstörungen, Traurigkeit und innerer Unruhe. Der Übergang zur Erschöpfungsdepression ist dann fließend.

Was raten Sie Frauen, die spüren, dass die Last des Familienalltags sie überfordert?
Wichtig ist, dass die Mütter für sich eine Möglichkeit der Entlastung finden. Das kann eine kurze oder längere Auszeit sein, um den Akku wieder aufzuladen. Viele Mütter warten lange, bis sie sich eine Pause zugestehen, weil sie denken, ohne sie geht es nicht. Aber eine ständig müde, erschöpfte, genervte Mutter tut den Kindern auch nicht gut und ist kein gutes Vorbild.

Eine Kur in einer Mutter-Kind-Einrichtung kann ein Ausweg sein. Was lernen die Mütter während des Klinikaufenthalts?
Eine Vorsorge- oder Reha-Maßnahme in einer Mutter-Kind-Klinik oder ohne Kinder in einer Mütterklinik bietet die Möglichkeit, für drei Wochen aus dem Alltag auszusteigen. Die Mütter werden bei den Versorgungsaufgaben entlastet, bekommen Gruppen- oder Einzelgespräche mit PsychologInnen oder SozialpädagogInnen, lernen Entspannungsverfahren, werden durch Sport und Physiotherapie fit gemacht und können sich mit anderen Müttern in ähnlicher Lebenslage austauschen. Sie haben Gelegenheit, ihre Lebenssituation zu reflektieren und zu überlegen, wie sie sich entlasten können, wenn sie wieder zu Hause sind. Auch die Zeit mit den Kindern können sie unbeschwert ohne Alltagsstress erleben. Es gibt Interaktionsangebote für Mutter und Kind und bei Bedarf Erziehungsberatung.

Wie geht es den Frauen hinterher? Können sie das Gelernte auch in ihrem Alltag umsetzen?
Wir haben in den vergangenen 15 Jahren Daten von über 10 000 Müttern in Mutter-Kind-Kliniken erhoben. Es hat sich gezeigt, dass die Frauen zu Beginn der Kur unter erheblichen körperlichen Beschwerden und einer hohen psychischen Gesamtbelastung leiden. Am Ende der Kur sind die Beschwerden signifikant verringert. Durch unsere Nachbefragungen nach sechs bis zwölf Monaten fanden wir heraus, dass die Beschwerden zwar wieder etwas ansteigen, aber nicht das Ausmaß wie vor der Kur erreichen. Das heißt, obwohl die Mütter in ihren stressigen Alltag zurückkehren, gibt es sehr deutliche nachhaltige Effekte. Diese beziehen sich nicht nur auf die somatischen und psychosomatischen Beschwerden, sondern auch auf die Erziehungskompetenz und die empfundene Belastung durch den Haushalt, die Probleme in der Partnerschaft oder am Arbeitsplatz.

Was können Mütter vorbeugend für ihre Gesundheit tun?
Für Mütter gilt, was für alle gilt: Gesunde Ernährung, genügend Schlaf, genügend Bewegung und nicht rauchen. Außerdem hilft es, kleine Auszeiten zu schaffen und individuelle Entspannungsmöglichkeiten zu finden. Das kann autogenes Training, Sport, aber auch ein Sauna- oder Kinobesuch sein. Und schließlich trägt ein Netzwerk zur Entlastung bei, egal, ob es sich dabei um die Familie, andere Mütter oder einen Babysitter handelt. Eine insgesamt kinderfreundliche Nachbarschaft ist natürlich auch hilfreich.

kizz Elterntipp

Sie dürfen …

  • … sich auch mal schwach fühlen.
  • … etwas für sich tun.
  • … andere um Hilfe bitten.
  • … Beratung in Anspruch nehmen.
  • … Ihre (Perfektions-)Ansprüche überprüfen.
  • … Ihre Gesundheit pflegen.

Friederike Otto, Hebamme, Diplom-Pädagogin und wissenschaftliche Leiterin des Forschungsverbunds Familiengesundheit an der Medizinischen Hochschule Hannover.

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