Einfach lernenLernen muss nicht gelernt werden

Kleinkinder sind die absoluten Lernwunder. Nie wieder kann ein Mensch in seinem Leben so viel und so schnell lernen. Jeden Tag wird Neues entdeckt und abgespeichert. Aber auch hier müssen die Eltern dafür sorgen, dass die Lernlust hoch bleibt. Ein Interview mit dem Neurobiologen Prof. Dr. Gerald Hüther.

Einfach lernen: Lernen muss nicht gelernt werden
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Welche Voraussetzungen brauchen Kinder, damit sie gut lernen? Und was können Eltern tun, um bei ihnen Lernfreude und Neugier zu wecken? Ein Interview mit Dr. Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen. Er zählt zu den führenden Wissenschaftlern auf dem Gebiet der experimentellen Hirnforschung.

Warum lernen kleine Kinder besonders gut?
Wenn ein Baby zur Welt kommt, ist sein Gehirn noch sehr unreif. Zwischen den unzähligen Nervenzellen gibt es nur wenige Verschaltungen. Aber dann geht es in rasantem Tempo weiter. Jede neue Erfahrung, die das Kind macht, wird im Gehirn abgespeichert. Es wird sozusagen mit Verschaltungen überschwemmt. Doch das Gehirn sortiert gründlich aus. Es bleiben nämlich nur die Verschaltungen erhalten, die wirklich benutzt werden. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum Kinder in den ersten Lebensjahren so viel lernen wie nie wieder in ihrem späteren Leben.

Wie geht es mit der Hirnentwicklung und dem Lernen weiter?
Im Alter zwischen drei und sechs Jahren nimmt ein Kind alles besonders intensiv wahr. Es hat seine eigenen Vorstellungen von der Welt und zeigt jetzt schon Interessensvorlieben. Das Kind ordnet und bewertet alle Eindrücke und Erfahrungen. Dabei werden manche Hirnregionen besonders intensiv beansprucht, andere dagegen weniger. Die stark genutzten Nervenbahnen verstärken sich, die wenig genutzten verkümmern. So entsteht ein Netz, das bei jedem Menschen individuell anders gestrickt ist.

Was passiert im Gehirn der kleinen Entdecker?
Je mehr Eindrücke ein Kind sammelt, desto mehr Erregung und Spannung entstehen im Gehirn. Bei Erfolgserlebnissen wird diese Spannung plötzlich aufgelöst. Das Kind fühlt sich wohl und ist zufrieden. Doch es spürt gleichzeitig auch den Drang, weiter zu forschen. Je lustvoller Kinder also lernen, desto größeren Appetit bekommen sie auf mehr. Bei solchen Lernprozessen werden immer auch Botenstoffe freigesetzt, die Lustgefühle erzeugen. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern bei Kindern die Freude am Entdecken und Lernen erhalten und fördern.

Wie prägt ein Kind sich Dinge ein?
Bei jeder neuen Erfahrung versucht das Kind, in seinem Gehirn ein bereits vorhandenes Muster zu aktivieren. Passen seine Erinnerungen und die neue Wahrnehmung überein, wird diese als bekannt abgespeichert. Gibt es keine Gemeinsamkeiten, passiert gar nichts. Wenn aber die neue Wahrnehmung teilweise zu einem im Gedächtnis abgespeicherten Erinnerungsbild passt, wird das alte Bild so lange vervollständigt, bis ein erweitertes inneres Bild entstanden ist. Dann hat das Kind etwas dazu gelernt und kann es jederzeit wieder abrufen.

Warum ist ganzheitliches Lernen so wichtig?
Beim Aufbau der Nervenverschaltungen im Gehirn bilden die Sinnesorgane im Gehirn Erregungsmuster. Es entstehen immer stabilere und komplexere Bilder. Beim Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken werden Erkenntnisse ausgewertet und miteinander verknüpft. Je mehr Sinne beim Lernen beteiligt sind, desto besser prägt sich einem Kind die neue Erkenntnis ein. Das beste Spielmaterial bietet dabei die Natur. Wenn Kinder zum Beispiel mit Blättern spielen, tun sie das mit mehreren Sinnen gleichzeitig. Sie nehmen den harzigen Geruch wahr, fühlen die Blattadern, unterscheiden verschiedene Farbtöne, verändern die Form des Blattes durch Zerrupfen oder Falten. Kinder lernen also durch unmittelbares Erleben. Und dies können ihnen kein Computerspiel und keine Fernsehsendung der Welt bieten.

Das Interview führte Lena Kaufmann

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