Vom Mutterkind zum Vaterkind"Nein, das soll Papa machen"

Wenn aus dem Mutterkind ein Vaterkind wird, dann ist das ein ganz normaler Entwicklungsschritt. Meist sind es Jungen, die diesen Schritt machen und sich von der Mutter unabhängig machen wollen. Als Eltern muss man das akzeptieren. Aber wie lange kann solch eine Phase andauern?

Nein, das soll Papa machen
© SanyaSM - iStock

"Nein", schreit Philipp aus Leibeskräften, "nicht du. Papa!!!" Ärgerlich knallt seine Mutter die hintere Autotür zu. Drinnen tobt Philipp auf dem Kindersitz, unangeschnallt, mit rotem Gesicht, die kleinen Finger um den Kuschelhasen gekrallt und brüllt: "Papa soll mich anschnallen!" Philipps Mutter lässt sich auf den Beifahrersitz fallen: "Mach du das. Ich geb's auf." Der Vater seufzt, steht auf, schnallt den Dreijährigen fest, der nun wie ausgewechselt erscheint: da sitzt ein vergnügter kleiner Junge, freundlich lächelnd, den Kuschelhasen im Arm. Es kann losgehen.

Solche Szenen spielen sich neuerdings öfter zwischen Philipp und seinen Eltern ab. Bananen schälen, ein Pflaster aufkleben, die Schuhe zubinden - all die mütterlichen Serviceleistungen scheinen plötzlich nicht mehr gefragt. Papa muss ran. Dabei ist Mama keineswegs abgemeldet: gerade eben hat Philipp noch "blöde Mama" geschrien und jetzt benimmt er sich wie ein ängstlicher Zweijähriger, der keinen Moment von Mutters Rockzipfel weicht.

Zwischen Baum und Borke: groß werden

Viele Jungen fechten in diesem Alter mehr oder weniger heftige Kämpfe mit ihrer Mutter aus. Ihr Streben nach Unabhängigkeit bringt sie vor allem in Konflikt mit dem Menschen, der ihnen am nächsten steht - und das ist oftmals die Mutter. Ihr, die das Kind in den ersten Jahren meistens betreut, zum Trost: Das Phänomen hat einen Namen. "Triangulierung"* nennen Psychologen diesen wichtigen Entwicklungsschritt, wenn aus der Zweisamkeit eine Dreierbeziehung wird. Aus der engeren Bindung zur Mutter muss man sich am heftigsten losstrampeln, losboxen, losschreien. Und im nächsten Moment wieder auf Mamas Schoß klettern. Um aufzutanken. Der Vater als der Dritte im Bunde bringt frischen Wind mit und bleibt meist von den Kämpfen verschont. Mütter, die außer Haus arbeiten und ihr Kind erst nach Feierabend sehen, machen übrigens ganz ähnliche Erfahrungen: Während sie die Begeisterung, mit der ihr Kind am Abend auf sie losstürmt, genießen, entgeht ihnen leicht das etwas gequält wirkende Lächeln im Gesicht des Vaters, der soeben aus der Küche tritt und sich die Hände an der Schürze abwischt.

Väter haben's manchmal leichter

Was viele Mütter besonders erbost, ist das leichte Spiel, das der Partner bei den Kindern hat. Väter machen einfach mehr Eindruck - jedenfalls scheint das Müttern so. Wochentags taube Kinderohren können am Samstag wieder hören, wenn Papa eine Bitte äußert. Beim Abendessen, beim Baden, ja sogar beim Haarewaschen: Mit Papas freundlichem "Lass mich mal" geht plötzlich alles wie geschmiert. Dieselben Handgriffe, dieselben Worte, dasselbe Anliegen - ein grundverschiedenes Kind.

Wer bin ich?

Wenn aus Mutterkindern Vaterkinder werden, hat das einen guten Grund: Die Ablösung von der Mutter und die Hinwendung zum stärker außen stehenden Vater ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Ich. Unabhängig und eigenständig zu werden, ist für Jungen besonders schwierig. Um eine eigene Persönlichkeit zu werden, muss sich zwar jedes Kind aus dieser Zweierbeziehung mit der Mutter ein Stück weit lösen - und probeweise die Seiten wechseln, vom Mutterkind zum Vaterkind werden und wieder retour. Doch Jungen und Mädchen schlagen dabei verschiedene Wege ein: Mädchen tun das, indem sie sich mit ihrer Mutter vergleichen, sie nachahmen. Sie werben um ihren Vater und rivalisieren mit der Mutter, jedoch ohne deshalb ihre Identifizierung aufgeben zu müssen. Ein Mädchen sagt: "Ich bin wie Mama". Jungen erkennen: "Wie Mama bin ich nicht." Aber wie sonst? Vielleicht so wie Papa? Gerade jetzt brauchen kleine Jungen viel Kontakt zu ihrem Vater - oder zu anderen erwachsenen Männern. Der Vaterhunger bricht bei Jungen zwischen drei und sechs Jahren oft besonders heftig aus. Was es heißt, ein Mann zu sein, erkunden kleine Jungen am lebenden Modell - jetzt beginnt der Download.

Unterwegs zwischen innen und außen

Dabei geht das Bedürfnis des Kindes nach einem Gegenpol zur engen, mütterlichen, weiblichen Sphäre mit der allgemeinen gesellschaftlichen Vorstellung von der männlichen Rolle Hand in Hand. Väter verkörpern für Kinder die Außenwelt - kaum dreht sich der Schlüssel im Schloss, ist das Kind nicht mehr zu halten: Papa! Der Mutter versetzt die überschwängliche Begeisterung jedes Mal einen Stich. In der Regel sind es die Mütter, die Tag für Tag die lange Liste der Pflichten erledigen, die das Familienleben mit sich bringt. Ein Vater, der abends oder am Wochenende nach Hause kommt, wird da schon ganz von alleine zum Stargast. Licht aus, Spot an - Papa betritt die Bühne. Dass er überhaupt erschienen ist, wird ihm hoch angerechnet. Was er auch tut, jeder Blick, jede Geste, jedes Wort, scheint von großem Gewicht zu sein. Es braucht offenbar nur sehr wenig Vater, um seiner so beglückenden Wirkung teilhaftig zu werden. Kinder, die überwiegend von Frauen umgeben sind, neigen von ganz allein dazu, ihre Väter zu idealisieren und ihnen weit mehr Gehör zu schenken. Je mehr ein Junge in diesem Alter auch mit seinem Vater streiten, spielen, kämpfen und kuscheln kann, um so weniger heftig muss er sich von seiner Mutter losstrampeln, um sich als Junge zu fühlen. Deswegen sind Mütter ja noch nicht überflüssig, wenn es mal wieder heißt: Nein! Papa soll das machen. Ein Kind braucht zwei enge Bezugspersonen: Eine, die ihm Sicherheit gibt und es beschützt, und eine, die es herausfordert und anspornt. Ein Vater ist keine Mutter. Er spielt andere Spiele, ist weniger bereit, jedes kleine Wehwehchen zu beklagen und Mitleid zu zeigen. Kein Wunder, dass Philipp am Abend darauf besteht, nur von Mama ins Bett gebracht zu werden.

* von lat. triangulum = Dreieck, Anm. d. Red.

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