Rollenspiele für KinderDie eigene Fantasie beflügeln

Gerade Rollenspiele sind für die Entwicklung von Kindern enorm wichtig. Hierbei können sie Erlebtes verarbeiten und aus anderer Sicht betrachten.

Rollenspiele für Kinder: Die eigene Fantasie beflügeln
© Pixelio - Franz Mairinger

Der Bär hat heute Nachmittag einiges mitgemacht. Zuerst hat man ihm mit einer Stricknadel-Spritze in den Pelz gestochen. Dann wurde sein linker Arm mit einem Papiertaschentuch-Verband von oben bis unten umwickelt, und zum Abschluss musste er noch bittere Apfelsaft-Medizin schlucken. Aber was ein echter Teddy ist, der nimmt so was nicht krumm. Schließlich war er dabei, als Lina im Krankenhaus lag. Und natürlich auch, als sie heute morgen entlassen wurde.

Kein Wunder, dass Lina sich ihren besten Freund und Seelentröster als "Opfer" für ihr Rollenspiel ausgesucht hat. Viel Fremdes und Bedrohliches ist ihr in der Klinik begegnet: Schmerzen, unbekannte Gesichter, eine ungewohnte Umgebung. Alles hatte sie passiv über sich ergehen lassen müssen. Nun, zurück in ihrer bekannten Umgebung, kann Lina ihre Erlebnisse aktiv verarbeiten. Sie schlüpft in die Rolle von Arzt oder Ärztin, um den handelnden Part übernehmen zu können. Im Schutzraum der Familie lässt sie nun aus Ernst Spiel werden und kann dabei selbst bestimmen, wie die Handlung verläuft. Lina wird vom Objekt wieder zum Subjekt.

Spielen bringt Verstehen

Alles, was ein Kind erfährt und erlebt, das erprobt und verfestigt es in seinem Spiel. Nach der Fahrt mit dem Zug schleppt es Stühle aus der ganzen Wohnung heran und spielt Eisenbahn - unermüdlich und in den unterschiedlichen Rollen.

So ahmt das Kind nach, was es erlebt und erfahren hat, es macht sich die Welt der Erwachsenen zu eigen, indem es sie nachstellt und dadurch in seine Verständniswelt überträgt. Doch das Spiel beschränkt sich nicht auf Erlebtes, auch mit Emotionen wird hier experimentiert. Freude, Furcht, Aggression - alle Gefühle haben im Rollenspiel ihren Platz.

Ich und die anderen

Normalerweise beginnen Kinder im dritten und vierten Lebensjahr Rollenspiele zu spielen. In seiner Entwicklung ist das Kind nun so weit, dass es sich in andere Menschen hineinversetzen kann. Es versteht, dass es "ich" und "die anderen" gibt, und dass die anderen unterschiedlich denken und handeln.

kizz Info

  • Rollenspiele müssen Sie nicht fördern - Kinder nehmen sich von allein, was sie brauchen. Aber zulassen sollten Sie die unterschiedlichsten Persönlichkeiten, in die Ihr Kind schlüpft. Auch und gerade, wenn dabei Aggressionen oder Ängste zum Vorschein kommen. Mit solchen Gefühlen muss das Kind experimentieren dürfen.
  • Manche Kinder mögen es nicht, wenn sie bei ihren Verwandlungen belauscht werden. Respektieren Sie auch hier die Intimsphäre Ihrer Kinder. Ziehen Sie sich zurück, wenn Sie merken, dass das Kind bei seinem Spiel keine Zeugen haben möchte.
  • Sollte das Kind Sie aber als Mitspieler engagieren, machen Sie mit! Auch Erwachsenen kann es Spaß machen, ab und zu die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu erleben.

Das Kind schlüpft in die unterschiedlichsten Rollen und experimentiert mit ihnen: Wie fühlt es sich an, ein Baby zu sein? Oder eine Mutter? Oder eine Katze? Puppen, Legomännchen, Utensilien verschiedenster Art und das Kind selbst treten in solchen Inszenierungen auf, später auch die Freunde im Kindergarten. Mit dieser spielerischen Umsetzung des Erlebten trainiert das Kind sein Einfühlungsvermögen in das Denken und Fühlen anderer Menschen - es probt sein soziales Verhalten. "Und jetzt wär ich wohl der Vater und hab keine Zeit, weil ich die Zeitung lesen muss ..." Eltern sehen sich oft gespiegelt in diesen Szenarien, die so eindeutig zeigen, wie das Kind die Welt der Erwachsenen erlebt.

Doch nicht alle Kinder haben die Möglichkeit, sich in andere hineinzuversetzen. So sind autistische Kinder, die keinen Zugang zu ihrer sozialen Umwelt aufbauen können, zu Rollenspielen nicht in der Lage. Ihnen fehlt die Fähigkeit, neben dem "ich" das "du" zu erkennen und sich mit einer anderen Person zu identifizieren.

Die Angst beherrschen

Durch den Rollenwechsel schafft sich das Kind eine Gegenwelt, in der es großartig ist und autonom. Besonders beliebt sind Personen aus der Erwachsenenwelt. "Vater, Mutter, Kind" - das liebste Spiel im Vorschulalter. Doch auch Fernseh- oder Kinohelden geben oft die Vorlage ab. Zaubern können wie Bibi Blocksberg oder Harry Potter - im Rollenspiel ist das möglich. Ebenso das Beherrschen einer Situation, die das Kind als beängstigend erlebt hat. Wer sich vor Gespenstern fürchtet, wird gern für eine Weile selbst zum Gespenst und erschreckt zur Abwechslung mal die anderen. Wer sich vor dem Fernseher ängstlich in den Sessel drückte, hat im Spiel die Dramaturgie selbst in der Hand und wird so mit seinen Ängsten fertig. Durch die Verwandlung und den aktiven Umgang mit einer anderen Persönlichkeit macht sich das Kind Bedrohliches vertraut.

Mit dem Ende der Kindheit ist die Zeit der Rollenspiele längst nicht vorbei. Viele Jugendliche schlüpfen in Fantasy-Rollen und messen ihre Kraft mit anderen Bewohnern entfernter Zauberreiche. Doch nicht den Alltag imitieren sie, wie früher im Vorschulalter. Ihre Rollenspiele sind nun Versuche, Alternativen zum Alltag zu finden: Nebenwelten, in denen sie die Fantasie frei fliegen lassen können. Die Suche des kleinen Kindes nach Gesetzmäßigkeiten im Miteinander der Menschen verkehrt sich nun ins Gegenteil: Die Jugendlichen wollen die festen Strukturen ihren Lebens für einen Moment abstreifen; sie tauchen in eine Dimension ab, in der die realen Anforderungen nichts zu suchen haben.

Rollenspiele schenken die Möglichkeit, andere Gefühls- und Handlungsebenen zu entdecken, und ein Stück weit über den Tellerrand zu blicken, auch wenn das Kleinkind- und Jugendalter weit zurück liegt. Das "Mutter-Kind"-Spiel mal mit getauschten Rollen? Warum nicht?

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