Wenn Kinder malenEin Hund, nein, ein Hase

Wenn Kinder malen, ist das Motiv nicht immer zu erkennen. Das macht nichts - das Kritzeln ist vielmehr ein wichtiges Ausdrucksmittel für die kindlichen Gefühle und Ideen. Innere Spannungen werden dabei abgebaut, die Fantasie gefördert. Und mit zunehmendem Alter entwickelt sich auch die Bildsprache.

Wenn Kinder malen: Ein Hund, nein, ein Hase
© Karl-Heinz Laube - Pixelio

"Guck mal, Mama, das habe ich für dich gemalt!" Freudestrahlend präsentiert die dreijährige Kathrin ein Blatt mit bunten Kritzelzeichnungen. Die Mutter freut sich über die spürbare Begeisterung ihrer Tochter. Aber insgeheim fragt sie sich auch, wann Kathrin endlich "richtige" Menschen, Häuser oder Tiere zeichnet. Hat sie ihr Kind vielleicht nicht genug angeleitet?

Malen - ein wichtiges Ausdrucksmittel

Diese Ängste sind unbegründet. Denn Kinder setzen mit jedem Bild ihre ganz persönlichen Zeichen. Je nach Entwicklungsphase bringen sie bildnerisch genau das zum Ausdruck, was sie gerade beschäftigt.

Doch warum ist das Malen für Kinder eigentlich so wichtig? Die naheliegendste Antwort: Es macht ganz einfach Spaß! Kinder haben Vergnügen daran, ihrem Temperament freien Lauf zu lassen, Ideen und Gefühle zu Papier bringen zu können. Der Malvorgang baut innere Spannungen ab, Phantasie und kognitive Prozesse werden gefördert. "Ich kann etwas schaffen, ich kann mich mitteilen" - das ist die stolze Botschaft der kindlichen Zeichnung. So entsteht Selbstvertrauen.

"Das Kritzeln ist die Grundlage jeder zeichnerischen Sprache", erklärt die Pädagogin Rose Fleck-Bangert in ihrem Buch "Was Kinderbilder uns erzählen". Wann diese wichtige Phase beginnt oder endet, lässt sich jedoch nicht verallgemeinern - das gilt auch für alle anderen bildnerischen Entwicklungsstufen. Zunächst geht es um das Ausprobieren und Trainieren der Motorik.

Da hüpfen Linien schwungvoll oder im Zickzack über's Papier. Irgendwann bekommen die Zeichen eine inhaltliche Bedeutung: "Das bist du, Mama.", "Das ist ein Hund - nein, ein Hase, er rennt weg." Jetzt entwickelt sich die eigentliche Bildsprache Ihres Kindes. Suchen Sie nicht nach Ähnlichkeiten mit der Realität - Ihr Kind zeichnet die Wirklichkeit so, wie sie ihm erscheint, es möchte einer Vorstellung Gestalt verleihen. Erste Formen kristallisieren sich heraus: der Kreis, das Kreuz. Mit diesen uralten Zeichen verschafft sich das Kind eine Fülle von Gestaltungsmöglichkeiten. Es kreiert sonnenförmige Figuren und die sogenannten Kopffüßler - sinnbildlicher Ausdruck dafür, wie sich das Kind an das Außen herantastet, versucht, mit Armen in die Welt zu greifen, sich auf beide Beine zu stellen. Kopffüßler sind erste Zeichen für den Menschen, der nach und nach mit Details ausgestattet wird. Das Kind stellt ihm bald Tiere, Pflanzen, Gebäude an die Seite, reproduziert Alltagssituationen.

Kinderbilder behutsam deuten

Jede Zeichnung spiegelt die Persönlichkeit ihres Schöpfers wieder, auch des kindlichen. Doch anhand isolierter Bildelemente, gar eines einzigen Werkes voreilige Schlüsse auf die Befindlichkeit zu ziehen, ist fahrlässig. Tiefenpsychologische Deutung ist die Sache von Fachleuten, die dabei immer auch die gesamten Lebensumstände mit berücksichtigen. Trotzdem gibt es für Eltern Möglichkeiten, sich den verborgenen Inhalten einer Kinderzeichnung zu nähern. "Schon der Ausdruckswert der Zeichnung, die Art, wie das Kind die Dinge auf das Blatt verteilt, die Art wie es zeichnet, die Oberflächenbehandlung, die Farb- und Formwahl sagen viel über Intensität, Konzentration, Temperament und Engagement des Kindes." Darauf verweist Rudolf Seitz, emeritierter Lehrstuhlinhaber an der Münchener Akademie der Bildenden Künste und erfahrener Kunstpädagoge in seinem Buch "Zeichnen und Malen mit Kindern". Zeichnungen sind für ihn Dokumente über das Selbst- und Weltverhältnis eines Kindes. Sie verraten Interessenschwerpunkte, Neigungen, Wünsche und Sorgen. Darin ergänzen sie die täglich zu beobachtenden kindlichen Verhaltensweisen, vorausgesetzt es gibt keine schwerwiegenden Krankheiten oder Konflikte.

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"Malbücher" für Kinder

Drei empfehlenswerte, anregende Bilderbücher, die von der Magie des Malens und der Farbe handeln: "Die Königin der Farben" von Jutta Bauer ist eine hinreißende Geschichte über Malwida, die sich so mit ihren Spielgefährten Blau, Rot und Gelb streitet, dass ihre Welt grau wird. Aber es kommt zur farbenprächtigen Versöhnung. Für Kindergartenkinder. (Beltz und Gelberg). Eva Heller schildert in "Die wahre Geschichte von allen Farben. Für Kinder, die gern malen" (Lappan) die Entstehung des Farbenkreises als Abenteuererzählung mit den Farben als Akteuren. Für Vorschulkinder. In "Ellis Biest" von Martin Karau (Aufbau Verlag) erfindet die Titelheldin Elli auf ihrem Zeichenblock ein vergnügtes rosa Biest, das plötzlich quicklebendig wird und Elli zu bizarren Abenteuern überredet. Die Illustrationen von Katja Wehner sind witzig und mitreißend. Für Vorschulkinder.

Schlüsselfragen bei der Bildbetrachtung

Der amerikanische Psychologe Gregg M. Furth hat einige Fragen entwickelt, die das erste Sich-Hineinfühlen in eine Kinderzeichnung erleichtern können:

  • Welches Gefühl vermittelt mir dieses Bild?
  • Welche Auffälligkeiten sind zu erkennen?
  • Was steht im Mittelpunkt?
  • Was fehlt?
  • Welche Hindernisse sind zu entdecken?
  • Welche Größe, Form und Bewegungsrichtung haben die dargestellten Objekte?
  • Gibt es unterschiedliche Perspektiven, Auslassungen, Schattierungen, Abgeschnittenes, Eingeschlossenes, Unterstrichenes, Schriftliches, Durchsichtiges, Bildrückseiten, verzerrte Formen im Bild?
  • Was wiederholt sich immer wieder?

Darauf können Sie außerdem achten: den momentanen Entwicklungsstand des Kindes; Format und Qualität des verwendeten Materials; das Verhalten des malenden Kindes, sein Kommentar zum Bild. Die Informationen aus diesen einzelnen Komponenten lassen sich behutsam zu einem Ganzen fügen. "Lesehilfen" vermitteln Ihnen ein Verständnis von Motiven, Raumaufteilung, Farbverwendungen, Abgrenzungen, ohne dass sie schematische Festlegungen treffen (siehe Kasten).

So unterstützen Sie Ihr malendes Kind

Stellen Sie Ihrem Kind verschiedenartiges Material in ausreichender Menge zur Verfügung, das fördert die Experimentierlust. Das Papier sollte stets groß genug sein und vom Zeichenblock über Japanpapier bis zur Tapetenrolle unterschiedliche Oberflächen aufweisen. Für die allerersten Zeichenversuche eignet sich am besten ein weicher Bleistift. Kindergartenkinder lieben den Umgang mit Farben - also brauchen sie Buntstifte, Wachsmalkreiden, Filzstifte, gerne auch Fingerfarben. Der Tuschkasten für Vorschulkinder muss nicht mehr als 12 Farben enthalten, für kleinere Kinder genügen die Grundfarben. Schön wäre ein ausreichend großer Arbeitsplatz - vielleicht eine auf den Tisch gelegte Holzplatte, die nach Gebrauch unters Bett geschoben wird. Vorschulkinder lassen sich durch Bildbetrachtungen im Museum oder von der Idee, nach Musik zu malen anregen. Ihre Wertschätzung der kindlichen Produkte vermitteln Sie, wenn Sie eine Sammelmappe anlegen. Vor allem aber: Kinder malen bis etwa zur Pubertät nicht naturalistisch. Sie bringen den Bedeutungsgehalt von Situationen und Vorstellungen zu Papier. Deswegen sind Korrekturversuche und Hinweise auf "richtige" Proportionen verunsichernd. Die Frau mit durchsichtigem Bauch und einem Baby darin, die Katze mit menschlichem Kopf, der Baum mit goldenen Äpfeln - sie vermitteln eine wesentliche Aussage: Das bedeutet es für mich!

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